12.11.2014
KR Jürgen Friedrich: Predigt vom 9.11.2014 Georgenkirche Eisenach

Lobe den Herrn, meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat...

der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, (3) der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit (4), der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst, wie ein Adler (5). Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht, allen , die Unrecht leiden (6). Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. (7) Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. (8) -Psalm 103, 1-8- Liebe Gemeinde! das dankbare Erinnern, das Nicht -Vergessen ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Glaubens, angefangen von der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, bis zu uns heute. Beim Sederabend am Pessachfest stellte sich die Familie in die Ursprungstraditionen des Volkes, um sie zu erinnern und neu zu bekräftigen. Jeder sollte sich fühlen, als wäre er selbst aus der ägyptischen Knechtschaft ausgezogen und würde davon erzählen Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat uns ein großes Geschenk gemacht - mit der Befreiung von Bevormundung, Freiheitsberau- bung und Unterdrückung - mit dem Fall der Mauer, heute vor 25 Jahren. Wie werden wir die Wunder der friedlichen Revolution auch in Zukunft weitererzählen und neu bekräftigen? 1.Es war nicht alles schlecht in der DDR. Das hören und lesen wir jetzt oft. Manche Menschen sagen, sie fühlen sich mit dem Untergang der DDR und ihrem nachträglichen Schlechtreden um ihre Lebensleistung betrogen. Das Wort "Diktatur" oder "Unrechtsstaat" kommt heute vielen nicht in den Sinn, wenn sie an ihren Alltag denken .Denn "Auch in der Diktatur schien die Sonne." (sagt Roland Jahn, von der Stasi-Unterlagen-Behörde) Natürlich war nicht alles schlecht. Ein Werturteil über die DDR als Staat ist noch kein Urteil über die Menschen, die in ihr lebten oder leben mußten. Ja, wir haben hier gelebt. Wir haben gearbeitet. Wir haben gefeiert. Ja, wir haben unserem Glauben Gestalt gegeben. Nein, unsere Tage waren nicht 24 Stunden lang grau. Ja, manchmal war das Leben wunderbar bunt. Manchmal hatten wir Angst und manchmal Mut. Manches haben wir versäumt, manches ist uns gelungen. Was erinnern wir? Was wollen wir nicht vergessen? Was erzählen wir weiter? Vier Beispiele: 1.1.Die Landesjugendsonntage. Sie waren die größten Jugendtreffen in der DDR, unabhängig von der gleichgeschalteten FDJ, der Kampfreserve der Partei. Tausende kamen in Eisenach auf die Wiesen am Pflugensberg, um zu hören, zu diskutieren zu singen und zu beten. Unvergessen bleiben Gedanken und Worte aus Predigten, so z.B beim LJS 1982 "Auch über der DDR ist der Himmel offen". Worte der Hoffnung und Zuversicht für junge Leute, die sich eingesperrt und bedrückt fühlten. Für die Organe bedeuteten diese Treffen in der "Grenzstadt" Eisenach höchste Alarmstufe. Verdächtige junge Leute mit langen Haaren und Kutte wurden argwöhnisch beobachtet, kontrolliert und manchmal auch in Haft genommen. 1.2.Die Friedensdekade. "Frieden schaffen ohne Waffen" das war ein Leitwort der christlichen Friedensbewegung angesichts der Raketen -Hochrüstung in Ost und West in den 80er Jahren. Friedensgebete etablierten sich überall in den Gemeinden. In Eisenach im Gemeindehaus "Hinter der Mauer" und in den Kirchen. 10 Tage lang. Im November. So wie heute, wo die Friedensdekade beginnt. Damals war ein unscheinbares Zeichen aus Stoff der" Stein" des Anstoßes zwischen dem Staat und den Kirchen. "Schwerter zu Pflugscharen" war darauf zu lesen - ein Wort aus dem Profetenbuch Micha im AT. Die Darstellung eines Schmiedes, der ein Schwert zur Pflugschar umschmiedet, kam von einem Denkmal, das die UdSSR den Vereinten Nationen geschenkt hatte. Und von der Sowjetunion lernen, hieß doch siegen lernen. Die Militarisierung der DDR mit dem Jugendliche besonders belastenden Wehrdienst war weit fortgeschritten, vor allem in Schule und Ausbildung, und überhaupt im öffentlichen Leben der DDR. Die Staatsmacht verbot das Tragen dieser Aufnäher. Träger des Zeichens wurden festgenommen und oft von der erweiterten Oberschule oder vom Studium verwiesen. Die Polizei hatte damals neben der Waffe auch eine kleine Schere dabei. Die Kirchen hielt an diesem Zeichen fest. LB Leich wies das Verhalten des Staates in Predigten - z.B. in Tabarz Ostern 1982 - zurück. So blieb "Schwerter zu Pflugscharen" bis heute das Zeichen der Friedensdekade, die zunehmend auch oekumensch organisiert wurde. - Was erinnern wir? Zum Beispiel: 1.3.Der Olof-Palme-Friedensmarsch - 1987 benannt nach dem ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten fand auch in Eisenach statt. Wir zogen von der Annenkirche zur Gedenkstätte der ehemaligen Synagoge. Zum ersten Mal in der Geschichte der DDR nahmen überall im Land kirchliche und andere Gruppen an diesem Marsch teil - unter scharfer Beobachtung durch die STASI und unter dem Versuch massiver Einflußnahme durch die Staatsorgane. Trotz allem wurden dabei staatskritische Plakate mitgeführt - gegen Wehrkunde-Unterricht und Militarisierung des öffentlichen Lebens. Die Behinderungen durch die Sicherheitsorgane waren vielfältig und zum Teil rigoros. Dennoch, die Welt sah auf die kleine DDR. Der Anschein der Demokratie sollte unter allen Umständen gewahrt werden. Die Teilnahme an diesem Marsch war für die Kirchen und im Besonderen für die kirchliche Jugendarbeit, ein einmaliger, besonderer Vorgang.- Wir erzählen und erinnern Zum Beispiel: 1.4.Spuren jüdischen Lebens in Thüringen Junge Leute in Eisenach und anderen Städten, machten sich auf den Weg, um das jüdische Leben in Thüringen zu erforschen. Sie kamen meist aus den Jungen Gemeinden. Aber auch Jugendliche in Hessen arbeiteten mit uns am gleichen Projekt. "Gegen das Vergessen", so hieß eine Broschüre, die wir herausgeben durften. Eisenach, Gotha und Schmalkalden waren die Orte, in denen Spuren jüdischen Lebens aufgesucht und festgehalten wurden. Es gab Zeitzeugen-Berichte über das Niederbrennen der Synagogen, alte Fotos (welcher Mut gehörte doch dazu) über die Deportation der Eisenacher jüdischen Bevölkerung, mit der Sammelstelle im" Klebeschen Garten", über den Weg zum Bahnhof und dann - mit der Reichsbahn in den Tod nach Theresienstadt. Die Geschichte des Eisenacher Kinderarztes und Wohltäters Dr, Siegfried Wolff berührte unsere Herzen. Heute gedenken wir des Beginn der November_Pogrome vor 76 Jahren. Die Zahl der Zeitzeugen wird immer kleiner, bzw. ist kaum noch zu benennen. Aber der Widerstand Gegen das Vergessen muß deutlich bleiben, gerade jetzt, beim Aufkommen eines neuen Antisemitismus in unserem Land. Es war nicht alles schlecht in der DDR. Wir versuchten, unseren Glauben in die weithin atheistische Gesellschaft einzubringen - oft auch gegen die offiziell geäußerte Propaganda. Denn: 2. Es war nicht alles gut in der DDR. Wer sich anpasste und nicht weiter auffiel, lebte ganz gut im Ländchen. Wer aber aus der Reihe tanzte, den traf es hart. Hier hießen Reizworte: staatsgefährdende Hetze ungesetzliche Verbindungsaufnahme (nach Westen) Republikfluchtversuch Wehrdienstverweigerung. Verfolgung und Repression durch die STASI waren die Folge, Verurteilung und Haft. Wer das erlebte, mußte nicht lange über das Unrecht in der DDR diskutieren oder streiten. (oder wie heute Leserbriefe schreiben) Nicht wenige Menschen fühlten sich so als Leibeigene des absolutistischen Staates. Die Massenfluchten im Herbst '89 waren unübersehbare Zeichen für die Machthaber, aus denen sie jedoch keine Konsequenzen zogen. Werner Schulz, ein Berliner Vertreter der Opposition, hat gesagt" Die Kirchen waren die Basislager der friedlichen Revolution." Ich möchte hinzufügen - die kirchlichen Gruppierungen und Gremien waren auch kleine Schulen der Demokratie. Aus vielen kleinen Mosaiksteinen - mutigen Aktionen, aus den Friedensgebeten, (das erste hier in der Georgenkirche war am 23. Oktober 1989), aus Demonstrationen, Äußerungen von Synoden und vielem mehr gewann die friedliche Revolution ihre Kraft. Aber auch der Name Michail Gorbatschow darf nicht vergessen werden. Perestroika und Glasnost waren Ermutigung für die Veränderungen in der DDR, wie auch die revolutionären Bewegungen bei unseren östlichen Nachbarn. Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! 3. "Befreit zum Widerstehen" ist in diesem Jahr das Motto der oekumenischen Friedensdekade. Zum 35. Mal findet sie statt . Im 2. Timotheusbrief, Kapitel 1, heißt es: "Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit". Mut und innere Freiheit sind ein Geschenk des Glaubens. Sie sind Grundlage für jedes Widerstehen und für die Friedensarbeit. Das war zu Zeiten der DDR so und ist heute nicht anders. Wo ist heute unser Widerstehen gefordert? 3.1. Mitten in Europa ist Krieg. In der Ukraine sprechen die Waffen. Menschen werden getötet, Menschen müssen aus ihren Heimatgebieten fliehen. Wir überblicken die Situation dort nicht. Am Horizont droht wieder so etwas, wie ein kalter Krieg. Das macht auch bei uns vielen Angst. Noch unfaßbarer sind die Vorgänge um Syrien, das Kurdengebiet und den Irak. Brutalste Morde und Folterungen finden statt. Die Truppen des IS verbreiten Angst und Schrecken. Hunderttausende fliehen. Dürfen wir diesen Dimensionen von Völkermord zusehen? Ist Einmischung nicht nur erlaubt, sondern geboten? Wie verhält sich das alles zu der Friedensbotschaft unseres Herrn? Werden wir westlich orientierten Länder Europas nicht in jedem Fall schuldig - sowohl durch das Eingreifen, als auch durch das Zuschauen aus gesicherter Entfernung? Die Zeit der Friedensgebete ist längst wieder gekommen, wie auch die Zeit der redlichen Informationen, fernab aller Propaganda. Besonnenheit soll das Handeln der Politik bestimmen. 3.2. Mit großer Sorge beobachten viele das Wiedererstarken des Antisemitismus in unserem Land auf dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um Israel und Palästina. Es ist ungeheuerlich und zutiefst beschämend, wenn in Nordrhein-Westfalen bei Anti-Israel-Demonstrationen Parolen zu hören sind, wie "Hamas, Hamas - Juden ins Gas". Und es sind nicht nur rechte Demonstranten, die das schreien. Lauter muß unser christlicher Widerstand zu hören sein. 3.3. Unser Glaube gebietet uns, besonders für Witwen und Waisen und für Flüchtlinge einzustehen. Es ist ein Werk der Barmherzigkeit, für eine freundliche Aufnahme zu sorgen. Dabei sollen Bedenken und Ängste in der Bevölkerung nicht unter den Teppich gekehrt werden. Niemand sollte mit seinen Fragen in irgendeine Ecke gestellt werden. Auch hier sind Besonnenheit und Zuwendung besonders gefragt. 4. Liebe Gemeinde, lasst mich zum Schluß - nach so vielen ernsten Fragen - noch etwas Fröhliches erzählen. Anfang 1988 wurden in Berlin Bürgerrechtler fest-genommen, die sich an der jährlichen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration - mit staatskritischen Transparenten beteiligen wollten. Im ganzen Land wurden Fürbittandachten ffür die Inhaftierten gehalten. So auch in Eisenach in der Paul-Gerhardt-Kirche. Die Staatsorgane taten alles, um den Zugang zu diesen Andachten so gut wie möglich zu erschweren - durch Personen - und Verkehrskontrollen. Die Andachten fanden dennoch statt, und kaum ein Platz blieb frei. In meiner STASI-Akte "Operativvorgang Barfüßer" fand ich dann meine Predigt im Wortlaut wieder.(Biermann: Die Stasi ist mein Eckermann). Allerdings - sauber auf einer" Erika". geschrieben - las ich mitten im Text folgendes ...."unverständlich, da Band leiert".(gemeint war das mitlaufende Tonbandgerät) Das wäre doch in manchen Zusammenhängen und Auseinandersetzungen zu wünschen gewesen, daß..."das Band leiert". Andererseits hat ja die Bespitzelung und akribischste Dokumentation nichts genutzt. Der Oktober/November 1989 kam. GOTT SEI DANK! Amen