15.03.2020
Predigt anläßlich der Corona-Pandemie

Georgenkirche Eisenach, 15. März 2020, Superintendent Ralf-Peter Fuchs

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder

 

Ich habe Ihnen ein Bild mitgebracht. Eine Bekannte hat es mir geschickt, nachdem  wir uns  über einige Szenen im Supermarkt ausgetauscht hatten. Die Sache ist im Grunde nicht lustig! Aber das Bild ist wenigstens schön gezeichnet.

 

Es ist ja durchaus klug, jetzt nicht jeden Tag in den Supermarkt zu rennen, sondern

ein wenig langfristiger einzukaufen. Es wäre ja auch nett, wenn manch einer für den Nächsten und übernächsten Nachbarn gleich miteinkauft. Aber alles einzuhamstern, was der Kofferraum und der Geldbeutel hergibt, das ist schon dreist. Mich erschrickt so eine Haltung. Wer so hamstert, sagt damit, dass er der Gesellschaft und  der Gemeinschaft nichts mehr zutraut. Da gibt es offensichtlich Menschen, die den eigenen vollgestopften Sack und die Hamsterhöhle für den einzig verlässlichen Wert halten. Ich weiß nicht, was gefährlicher ist: der Corona-Virus oder solch eine Haltung. Ich weiß nicht, wovor man sich mehr schützen muss, vor COVID 19 oder vor dem Virus eines Egoismus, der die Gesellschaft ent-solidarisiert. Wer die Gesellschaft ent-solidarisiert, nimmt ihr die Widerstandskräfte, die sie braucht, um  mit Krisen umzugehen.

 

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die  Ausbreitung von Coronaviren zur Pandemie, also zu einer länder- und kontinenteübergreifenden  Krankheit. Seitdem überschlagen sich die Maßnahmenpakete. Was gestern noch galt, ist heute schon überholt. Plötzlich begreifen wir, dass dieses Leben auf Erden verletzlich und verwundbar ist. Das war auch schon vor dem 11. März so. Aber wir hatten uns eine Zeit lang den Luxus geleistet, zu meinen, wir wären auf der sicheren Seite. Wir hatten uns eine Zeit lang die Illusion geleistet, wir könnten alles im Griff haben. Aber das ist nicht so. Das Leben ist verwundbar, verletzlich, immer auch gefährdet. Und nun haben wir es von heute auf morgen neu begriffen. Die Verletzlichkeit des Lebens steht nicht in Frage. In Frage steht immer nur, wie wir mit dieser Verwundbarkeit umgehen.

 

Coronaviren können durch Schmier- oder Tröpfcheninfektion übertragen werden. Eine Übertragung kann also durch Husten, Niesen, aber auch durch das Berühren von Gegenständen, die zuvor von einer infizierten Person berührt wurden, übertragen werden. Entsprechend wird auf den weitgehenden Verzicht auf Sozialkontakte orientiert, um die Infektionsketten zu unterbinden oder wenigstens deutlich zu verlangsamen. Also: Das Schaffen möglichst vieler kleiner Inseln, die miteinander nicht in Berührung kommen. Das ist gut so, Das ist wichtig. Das ist die eine Wahrheit. Genauso wichtig ist die andere Wahrheit: Es braucht auch Solidarität. Es braucht Solidarität: Das medizinische Personal braucht Solidarität bei der Kinderbetreuung. Die Risikogruppen:  Altgewordene und Kranke, die sich nicht mehr auf die Straße trauen, brauchen Menschen, die nach ihnen schauen oder ihnen beim Einkauf helfen. Alle, die mit ihrer Arbeit das öffentliche Leben in Gang halten, brauchen unser Mitgefühl und unsere Unterstützung und noch mehr als sonst auch:  unsere Freundlichkeit. Wer aus den Hilfsmaßnahmen der Regierung eigenes Kapital schlagen will, braucht unser Widerwort. Im Augenblick sind wir mit der Einschränkung von Sozialkontakten beschäftigt, aber in zwei Wochen werden  wir auch merken, wo wir allein damit nicht mehr weiter kommen. Es braucht beides: Abgrenzung und Nachbarschaftshilfe, Erhöhte Achtsamkeit und Solidarität. Es braucht gute Zäune, aber auch den achtsamen Blick und das achtsame Handeln übern Gartenzaun hinaus.

 

Es gibt Bibelverse, die schlafen lange vor sich hin. Man liest sie und überliest sie auch. Sie haften nicht an. Aber dann eines Tages ist plötzlich ihre Stunde gekommen: 2. Thimotheusbrief 1.7 Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht oder der Verzagtheit, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Dieser Vers ist innerhalb weniger Tage zum biblischen Corona-Satz aufgestiegen. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht oder der Verzagtheit,  sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

In diesem ! Geist lässt sich vieles bewältigen. Mit einem Geist, der panisch nur auf den eigenen Beutel schaut, werden wir nicht weit kommen.

 

Heute morgen ist bis auf weiteres der letzte Gottesdienst in St. Georgen. Wir haben diese Entscheidung vor ein paar Tagen getroffen, weil St. Georgen in besonderer Weise als Touristenkirche zu Kontaktflächen zwischen Menschen führt, die ansonsten nicht in Kontakt miteinander kommen würden. Aber es ist auch damit zu rechnen, dass dies jetzt auch für alle anderen Gottesdienst im Kirchenkreis gelten wird. Dass wir eine Zeit lang auf die Gemeinschaft des Gottesdienstes, auf das gemeinsame Singen und auf den gemeinsamen biblischen Blick auf unser Leben verzichten, das scheint mir hinnehmbar. Aber auf Gebet und Fürbitte dürfen wir nicht verzichten. Die Fürbitte muss jetzt einen Zeit lang aus dem Gottesdienst im Kirchengebäude ausziehen und in die Stuben, Wohnzimmer und Küchen einziehen. Mindestens dann, wenn die Glocken läuten, muss das Läuten das sein, was es immer schon war: Der Ruf zum Gebet: zum Gebet für die Kranken, die Schwachen, die Sterbenden, für das medizinische Personal und alle Helfer, für das Verkaufspersonal in den Geschäften, für die, die unter den wirtschaftlichen und unter den sozialen Folgen der Corona- Krise leiden und für die Verantwortung von uns allen zur achtsamen Solidarität.  Ein durchbetetes Herz ist ein anderes Herz. Eine durchbetete Stadt ist eine andere Stadt. Ein durchbetetes Land ist ein anderes Land. Eine durchbetete Welt eine andere Welt. Wir werden uns auch bemühen, unsere Kirchen in den kommenden Wochen noch deutlicher als Raum des Gebetes und der Fürbitte zu bereiten.

 

Astrid Lindgren hat in ihrem Buch „Ronja Räubertochter“ erzählt, wie Ronja Räubertochter eines Tages das Elternhaus verlassen will und endlich frei sein möchte. Der Vater  gibt  ihr einige Ratschläge mit auf den Weg. „Hüte dich davor, dich im Wald zu verirren!“ sagt er. „Was tu ich, wenn ich mich im Wald verirre?“ fragt Ronja zurück. „Suchst dir den richtigen Pfad“, antwortete er. „Na dann,“ sagt Ronja. „Und dann hüte du dich davor, in den Fluss zu plumpsen.“ „Und was tu ich, wenn ich hineinplumpse,“ fragt Ronja. „Schwimmst“, sagt der Vater. „Na dann“, sagt Ronja. „Und dann hütest du dich davor, in den Abgrund zu fallen.“ „Und was tu ich, wenn ich in den Abgrund falle?“ „Dann tust gar nichts mehr“, sagt der Vater und es heißt, dass er ein Gebrüll dabei ausstößt, als säße ihm alles Übel der Welt in der Brust. „Na dann“, sagt Ronja, nachdem er ausgebrüllt hat. „Dann falle ich eben nicht in den Abgrund. Sonst noch was?“ „O ja,“ sagt der Vater, „aber das merkst du schon selber so allmählich. Geh jetzt!“

 

Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

 

„Na dann“ – würde Ronja sagen.

 

Amen

 

 

 

 

 

Fürbittgebet:

 

Herr unser Gott, Du Herz allen Lebens, König der Welt

 

Wir rufen Deinen Namen an

über

dem Virus, der die Länder befällt

über

der Angst vor ihm

und

über den Folgen für Leib und Leben

 

Du bist der Herr über Leben und Tod

Gott, komm uns zu Hilfe

Herr, eile uns zu helfen

 

Und wir bitten dich für uns alle

um deinen Geist

der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit

 

Wir bitten Dich um einen Geist der Achtsamkeit

im Umgang mit uns

und unserem Nächsten

 

Wir bitten dich um einen Geist der Solidarität

für alle die unter den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu leiden haben.

 

Wir bitten dich um Kraft, Zuversicht und Unterstützung

für Ärzte, Pflegepersonal und Helfer

 

Für die, die sich infiziert haben, bitten wir um Heilung

 

Für alle, die in Angst und Sorge sind,

bitten wir um Hilfe und Zuversicht

 

Für die Sterbenden bitten wir dich,

dass du ihnen begegnest auf dem Weg durch die Todesnacht

 

Und in der Stille bitten wir dich für alldiejenigen

die an einer Krankheit des Leibes oder der Seele leiden

Sei nahe denen, an die wir jetzt denken und erhöre unser stilles Gebet

 

Und wofür sonst zu bitten oder zu danken haben

Wir bringen es vor dich in der Stille unseres Gebetes

 

VATERUNSER