27.11.2020
Lichtblick Advent - 30. November

Ein Wort zum Tage von Pfarrer Tittelbach-Helmrich.

Advent: Geschenkte Sekunde

Betritt man dieser Tage den Eisenacher Bahnhof, so fällt in der historischen Eingangshalle die wunderschöne weihnachtliche Beleuchtung ins Auge. Steht man später auf dem Bahnsteig fällt der Blick automatisch auf die Anzeigetafel für den Zug mit den nötigen Informationen. Auch die große beleuchtete Bahnhofsuhr mit dem DB Zeichen ist unübersebar. Aber was ist das? Die markanten Bahnhofsuhren mit dem roten Sekundenzeiger bleiben regelmäßig stehen!

Ich habe gelesen: Das ist eine ihrer großen Stärken. Vor 76 Jahren hat der Elektronikingenieur und Gestalter Hans Hilfiker, seinerzeit bei den Schweizerischen Bundesbahnen angestellt, diese stilprägende Uhr entworfen. Hilfiker wollte 1944, dass alle Bahnhofsuhren synchron laufen. Dafür benötigen sie den Impuls von einer Hauptuhr. Die Übertragung eines solchen Impulses hat in den 1940er Jahren allerdings eineinhalb Sekunden gedauert. Als Hilfiker der Uhr den ursprünglichen noch fehlenden, charakteristischen roten Sekundenzeiger mit der stilisierten Schaffnerkelle an der Spitze hinzugefügt hat, beschleunigte der Ingenieur diesen Zeiger. Er läuft seither in 58,5 Sekunden einmal um die Uhr, verharrt dann auf der Zwölf-Uhr-Position, bis der Zeitimpuls kommt und die nächste Minute anbricht. Technisch ist das inzwischen nicht mehr erforderlich. Doch es gilt auch in Eisenach nach wie vor, was Hans Hilfiker einst über die technisch notwendige kleine Rast des Sekundenzeigers gesagt hat: Unmittelbar vor der Abfahrt bringe sie „Ruhe in die letzte Minute und erleichtert eine pünktliche Zugabfertigung“.  Das Verharren des Sekundenzeigers suggeriert dem Reisenden außerdem, dass er immer noch ein kleines bisschen Zeit hat. Seinen Kaffee noch austrinken, über den Bahnsteig zum richtigen Waggon gehen kann, statt rennen zu müssen. Die Schweizer Bahnhofsuhr kombiniert beides: die präzise Bemessung und den gefühlten Verlauf der Zeit. Wobei sie den Reisenden, der zu ihr aufblickt, eben nicht hetzt, sondern ihm einen kleinen Puffer einräumt, der ihn mit Ruhe und Gelassenheit unterwegs sein lässt.

Für mich ist das ein Bild für den Advent. Mit Momenten der Ruhe und Gelassenheit unterwegs sein auf das Kommende, ja den KOMMENDEN.

Übrigens ist es ein solcher Moment in der Eisenacher Bahnhofshalle jedes Jahr am Nikolaustag zu erleben. Der Chor des Bahnsozialwerkes und das Eisenbahnerblasorchester aus Gerstungen erfreuen um 18 Uhr Reisende mit ihrer Musik. Am Ende stimmen stets viele der Wartenden mit ein in das Lied: O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit.

Pfarrer Arne Tittelbach-Helmrich - Gerstungen - aus: Andere Zeiten 2020

Tittelbach - Andacht (1)