13.03.2023
Lasst ab! Nicht weiter!

Predigt zum Sonntag Oculi, Superintendent Ralf-Peter Fuchs

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mir Euch allen

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder

Seit Wochen dominiert die Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine die Zeitungen und Nachrichten. Die einen sind dafür. Die anderen sind dagegen. Der Ton wird rauer. Und der Evangelist Lukas erzählt uns eine Geschichte:

47 Als Jesus noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen.
48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?
49 Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?
50 Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.
51 Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen?
53 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis. (Lukas 22. 47-53)

Immer noch ist irgendwo die Stunde der Finsternis. Immer noch ist irgendwo die Stunde der Todesmacht: Äthiopien, Mali, Syrien, Jemen und seit einem Jahr: Ukraine. Immer noch sind da Menschen, die die nachösterliche Welt zurückzerren wollen in die Gottlosigkeit des Karsamstag. Karsamstag: Der gottlose Tag. „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen“. Kein, Gott nirgends. Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis, sagt Jesus.

Und auch Judas ist da - immer noch. Der, der alles verrät, was ihm hätte heilig sein sollen. Und er verrät immer noch mit einem Kuss.Es gibt ein Video, in dem der russische Präsident freundlich, lässig lächelnd Schulkindern erklärt, warum der Einmarsch in die Ukraine nötig war. Seit Beginn des Krieges wurden dort über 3000 Schulen, Kindergärten und Hochschulen bombardiert, 406 davon sind vollständig zerstört worden. „…weil einem ja nichts anderes übrigblieb“, sagt Putin den Kindern. „…weil wir euch doch schützen müssen“, erklärt er den Schülern. „…weil die Ukraine doch zu uns gehört“, sagt der Präsident und schickt Raketen auch auf Schulen. Scheinheilig, heuchlerisch, janusköpfig, der Wolf im Schafspelz. „Ich liebe ... ich liebe doch alle, alle Menschen“, hatte der Stasichef Erich Milke gesagt. Judas ist noch da. Judas küsst noch.

Und einer von denen, die bei Jesus waren, schlug mit dem Schwert nach dem Knecht des Hohenpriesters, heißt es weiter im Evangelium.

Irgendwo ist immer ein Redlicher, der das Schwert zieht. Auch die, die von Jesu Liebe angesteckt waren, haben das Schwert gezogen. Man urteile nicht zu schnell über sie. Es ist schon Schlimmeres verhindert worden durch das Schwert. Man hat sich schon mit Erfolg der Bosheit entgegengestellt mit Gewalt. Man urteile nicht zu schnell. Aber es ist nie ausgemacht, ob man Schlimmeres verhindert oder Schlimmeres erst lostritt. Frieden wird dadurch nicht. Das Schwert bringt keinen Frieden, sondern nur den Tod. Dazu ist es gemacht. Dazu ist es gemacht - das Schwert, das Gewehr, die Haubitze, der Leopard, die Bombe. Frieden wird nicht durch das Schwert. Gewehrläufe verknoten sich nicht von selbst.

Und einer von ihnen hieb dem Knecht des Hohenpriesters sein rechtes Ohr ab, heißt es weiter bei Lukas.

Das Ohr! Wer Ohren hat, zu hören, der höre: Das Ohr! Gott gab uns Ohren, damit wir hören. Er gab uns Worte, dass wir verstehen. Öffne uns die Ohren und das Herz, dass wir das Wort recht fassen, in Lieb und Leid, in Freud und Schmerz, so singen wir in unseren Liedern. Aber jetzt ist das Ohr des Knechtes abgehauen. Er kann nicht mehr hören, was Gott zu ihm sagt. Er kann die heilsamen Worte nicht mehr verstehen.

Irgendwann- mal früher, mal später macht Gewalt taub für die Stimmen des Friedens. Irgendwann will die Mutter, die ihre Söhne im Krieg verloren hat, keinen Frieden mehr, sondern nur noch Vergeltung. Und die Ehefrau und der Sohn und die Schwester und der Vater und der Bruder auch. „Sie sollen nicht umsonst gestorben sein“, heißt es dann. Das Schwert gebiert Wut, Zorn und Rachewillen. Und Wut, Zorn und Rachewille verschließen die Ohren für das heilsame Wort. Irgendwann ist das Ohr abgehauen für die Stimme Gottes und die Stimme des Friedens.

Lasst ab! Nicht weiter!, spricht Christus. Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.

Was kann heilen? Was kann die Ohren wieder hörfähig machen? Die Stimmen, die heilen wollen, müssen jetzt stark werden. Die Stimmen, die Frieden wollen, müssen jetzt laut werden. Ich meine nicht die Stimmen, die einen faulen Frieden wollen. „Land gegen Frieden“ hat schon bei der Krim nicht geklappt. Es geht um den Frieden nach den Grundsätzen des Völkerrechts. Diese Hand muss jeden Tag gut erkennbar ausgestreckt bleiben. Der Friedenswille der Welt nach den Grundsätzen des Völkerrechts muss die Titelseiten beherrschen und nicht mehr die Schlachtfeldsprache von Sieg und Niederlage, von Munitionsbedarf und Erfolgen, von Panzern oder nicht, von Schuld und Verteidigung und von Geländegewinnen. Der unbedingte Wille nach Frieden und Heilung muss vernehmbarer werden. Lasst ab! Nicht weiter! spricht Christus.

Man sagt mir, dass eine Friedensinitiative zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn macht. Man sagt mir, dass Putin keinen Frieden will. Man sagt mir, dass Putin nur die Sprache der Waffen versteht. Aber es geht nicht um Putin. Das Ende des Krieges wird entschieden in den Köpfen der Menschen in Russland, Die Ohren der Menschen in Russland müssen geheilt werden von der Propaganda des Judas. Die Ressource „Zustimmung“ muss in Russland knapp werden, nicht die Ressource „Menschenleben“. Die Stimmen des Friedens müssen laut werden, damit die Propaganda von jener westlichen Welt, die Russland vernichten will, nicht mehr verfängt. Judas muss als Judas von den eigenen Leuten erkannt werden.

Am 24. Februar sang die 8jährige Vera Zaitsewa in der Georgenkirche mit Blumen im Haar das ukrainische Lied vom Frieden des Himmels.

Putin wird nicht siegen. Nicht, weil wir die besseren Panzer haben. Nicht, weil wir die besseren Haubitzen haben. Putin wird nicht siegen, weil wir die Kinder und die Lieder, die das Leben besingen auf unserer Seite haben.

Putin wird nicht siegen. Nicht, weil der deutsche Leopard besser ist, als der russische T 90. Putin wird nicht siegen, weil wir für das stehen, was das Leben lebens- und liebenswert macht: Frieden, Gerechtigkeit, Menschenwürde.

Putin wird nicht siegen. Nicht, weil wir mehr Munition hätten. Er wird nicht siegen, weil wir den Gott des Friedens auf unserer Seite haben und der spricht: Lasst ab! Nicht weiter! Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Wer ist dieses WIR? WIR - das ist jeder, der jetzt die Stimmen des Friedens und der Heilung stark macht, unabhängig davon wie er sich zu Waffenlieferungen verhält.

Ja, jetzt ist die Stunde der Macht der Finsternis. Aber der Tag …..der restliche Tag soll dem Licht, dem Frieden, der Liebe und der kleinen Vera Zaitsewa gehören.

Denn die Liebe Gottes ist höher als unsere Vernunft und sie bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.