20.08.2022
Über die Friedensboten in Zeiten des Krieges

Predigt im Kantatengottesdiest am 15. Mai 2022 über Kolosser 3.12-17 von Superintendent Ralf-Peter Fuchs

"Wie lieblich ist der Boten Schritt, die uns verkünden den Frieden; sie bringen frohe Botschaft vom Heil, das ewig ist," So lässt Georg Friedrich Händel in seinem "Messias" den Sopran singen. Wir werden die Arie in unserer Kirche gleich hören. Aber draußen vor der Tür haben die Boten, die uns Frieden künden, sich rar gemacht in diesen Tagen. Und auch darum meint der Predigttext des Sonntages aus dem Kolosserbrief jetzt uns alle persönlich:

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander. Wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Man geht nicht im Schlafanzug zum Festempfang, nicht im Sonntagskleid zum Wandern und nicht im Bikini in die Kirche. Es geht nicht nur darum, welche Kleidung zu mir passt, sondern auch darum, ob die Kleidung zu der Situation passt, in die ich mich begebe. Passen die Worte aus dem Kolosserbrief noch zur Situation nach dem 24. Februar und dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine?

Im Augenblick erlebe ich Menschen, die sich dafür entschuldigen oder entschuldigen sollen. auf einen Dialog mit Russland gesetzt zu haben. Zeitenwende, heißt es. Wir müssen alle neu denken, heißt es. Menschen, die an einer Verständigung mit Russland gearbeitet haben, wollen plötzlich nicht mehr zitiert werden. Und die, die es schon immer gewusst haben, schämen sich nicht einmal dafür, dass sie es nicht wenigstens versucht haben, dem Miteinander eine Chance zu geben.

Wird es etwa falsch, jemandem die Hand gereicht zu haben, nur weil er sie ausschlägt? Wird es falsch, auf ein Miteinander gesetzt zu haben, nur weil der andere nicht mitmacht? Schmeißen wir unsere schönsten Sachen in die Altkleidersammlung, nur weil Einer mit überheblicher Geste in einer Uniform von Gestern daherkommt? So zieht nun an als die Auserwählten Gottes herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Das sind unsere schönsten Kleider. Wir müssen sie jetzt nicht ausziehen, Wir müssen sie bewähren. Wir müssen

sie nutzen. Es ist der Stoff, aus dem eine Zukunft gewebt wird, oder wir haben keine,

jedenfalls keine. die liebenswert ist.

Wir haben die Friedensbotschaft Jesu und wir haben die Bilder von ermordeten Menschen in der Ukraine. Wir haben das siegreiche Halleluja des Messias von Händel und wir haben die Greul von Butscha. Wir müssen uns dazu verhalten. Wir haben den Luxus der Distanz verloren.

Die Ukraine hat Deutschland gebeten, schwere Waffen zu liefern. Das Erbarmen sagt: JA. Hilf dem, der deine Hilfe jetzt braucht. Die Liebe sagt: NEIN. Töte nicht und hilf nicht beim Töten. Es sind die Kleider der Liebe und des Erbarmens, die uns zaudern lassen und das Entscheiden schwer machen und ich schäme mich nicht dafür.

Ich habe mich persönlich durchgerungen, den Waffenlieferungen innerlich zuzustimmen. Ich tue es nicht mit heroischer Geste. Ich tue es mit verzweifelten Herzen. Ich weiß, dass ich schuldig werde, wenn ich zustimme. Ich weiß, dass ich schuldig werde, wenn ich es nicht tue. Ich stimme innerlich für die Waffenlieferungen, weil nicht ich unter die Räuber gefallen bin. Ich sitze gelegentlich im Gartenstuhl mitten im bezaubernden Frühling. Die, die uns bitten, sehen ihre Häuser brennen und ihre Kinder weinen und sterben. Ich stimme zu - mit verzweifelten Herzen.

Aber ich halte es nicht für einen Schritt zum Frieden. Wenn es gut geht, können Waffenlieferungen Schlimmeres verhindern. Wenn es nicht gut geht, heizen sie Schlimmeres an. Frieden wird dadurch noch nicht. Der Glaube daran, dass derjenige, der in die Ecke gedrängt wird, aufhört zu beißen, klappt schon bei Nachbars Hund nicht.

Jetzt braucht es Menschen, viele Menschen, die an der Deeskalation arbeiten und das geht nicht, ohne das Kleid der Demut. Es ist klar, Putin hat den Einmarschbefehl gegeben und dies ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Aber die dahinter liegenden Konflikte sind älter und tiefer. Es wird keinen Frieden geben ohne die Bereitschaft aller Seiten, ihren Anteil am Konflikt zu erkennen und einzugestehen. Man begibt sich wieder auf Augenhöhe, wenn man aufhört, der Illusion auf den Leim zu gehen, immer alles richtig gemacht zu haben. Und es gibt - auch bei uns viele Stimmen, die glauben, alles richtig gemacht zu haben. Das Gegenhalten mit Waffen, Sanktionen und Worten ist eine Reaktion auf einen Krieg, aber es ist noch keine Vision für einen Frieden. Zieht an, das Kleid der Demut. Das Kleid des Stolzes hat schon genügend Schaden angerichtet. Wenn die Sprache alle Brücken einreißt, haben die Füße keine mehr, über die sie gehen können. Wir brauchen eine Sprache, die von der Sehnsucht nach einer Welt des Gelingens regiert wird und nicht von der Wut über das Misslingen.

Und darum: Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt Gott dankbar in euren Herzen.

Als die Bomben auf Kiew und Mariupol fielen, haben Menschen in den Bunkern Geige gespielt und kleine Konzerte gegeben. In einem Bunker werden selbst Mozarts Violinkonzerte zu Protestliedern. Man muss um das Göttliche im Leben wissen, um dem Teuflischen zu widerstehen. Man muss um die Schönheit wissen, um dem Hass etwas entgegenzuhalten. Man muss das Liebenswerte ergreifen, um die Lieblosigkeit zu wenden. Hallelujah, denn Gott der Herr regieret allmächtig. Das Königreich der Welt ist fortan das Königreich des Herrn und seines Christ, und er regiert auf immer und ewig. Herr der Herren, der Welten Gott. Hallelujah! So lässt Händel seinen Schlusschor im „Messias“ singen. Man muss Händels Hallelujah mitsingen, mitsummen, mitpfeifen, um die Bilder von Butscha nicht für das Letzte Wort über die Menschheit zu halten. Und darum jetzt HÄNDELS MESSIAS, damit der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid, euer Herz regiere; und nicht die Bitterkeit über menschliche Unvernunft.

Amen