14.02.2019
Rundfunkgottesdienst 10. Februar 2019 um 10 Uhr, Georgenkirche Eisenach

Predigt von Pfarrer Stephan Köhler zu Jes 55 (6-7) 8-12 (13) am 4. Sonntag vor der Passionszeit (m. d. Texten d. Sonntags Sexagesimae)  

Liebe Schwestern, liebe Brüder, liebe Gemeinde hier in der Georgenkirche und am Radio,

ausgedörrt, vertrocknet, fruchtbare Erde hart wie Stein – erinnern Sie sich an den letzten Sommer? Je länger er dauerte, desto mehr sah es so aus im Land. – Kaum mehr frisches lebendiges Grün, kein Futter für die Tiere auf den Weiden, kein Saft für die Körner am Halm. Sogar der Wald kraftlos braun – verdunstet seine duftende Kühle. – Verheerende Trockenheit!

Dürr, trocken, hart wie Stein – so können auch Menschenherzen werden. So fühl auch ich mich manchmal: alle Poren verschlossen, die Offenheit verloren. Das Mitgefühl eingetrocknet, das Gespür für andere – für ihr Leid und ihre Freude; für ihre Sehnsucht und ihre Sorgen. Das Liebesaroma verduftet.

So schlagen sie zu, die harten Herzen, schroff und scharfkantig. Verletzen, pochen auf ihr Recht, schreien, müssen sich durchsetzen gegen alle, die schwächer sind. Hoffen nur auf sich selbst, nur auf die eigene Kraft und Stärke. Und spüren kaum, dass sie immer spröder werden, immer unerträglicher.

Ausgedörrt, verhärtet, völlig verkantet und verquer erscheinen mir heute die Gedanken, die dazu führen, einen ganz wesentlichen Teil der Bibel nicht mehr hören, nicht mehr lesen zu wollen. – Was mögen sie gedacht haben, damals 1940?

„Das Alte Testament ist die Heilige Schrift der Juden – also weg damit? Weg damit, wie mit den jüdischen Menschen in den Städten und Dörfern? Weg damit, wie mit den jüdischen Synagogen und Geschäften?

Weg damit – mit allem, was uns an sie erinnert! Weg damit – aus den Augen, aus dem Sinn?“

Weg damit? - … aus der Erinnerung, aus dem Gewissen …?

Aber Jesus von Nazareth war Jude. Die hebräische Bibel war für ihn die Heilige Schrift. Überall in seinen Worten klingt das an und auch in den Briefen des Neuen Testaments!

„Ach was! Weg damit! Das biegen wir zurecht. Das schreiben wir um. Wir schreiben ihm eine neue Geschichte, wir schreiben ein neues Neues Testament.“

Lektorin 2: HERR, Dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht; Deine Wahrheit währet für und für.

Köhler: „Und wenn wir schon mal dabei sind: schreiben wir auch das Gesangbuch um – und am besten auch gleich die Geschichte unserer Kirche, die Geschichten, die die Kirchengebäude erzählen … dort, wo man es sieht jedenfalls. – Weg damit, weg mit allem, was jüdisch ist! Weg mit dem Alten Testament, weg mit den Worten daraus! Weg mit diesen Geschichten und Gestalten!“

Veraltet? Überholt? Unbrauchbar geworden, weil sie zu missverständlich sind?

Lektorin 2: HERR, wenn Dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend. Dein Wort ist meinem Munde süßer als Honig.

Dein Wort macht mich klug; darum hasse ich alle falschen Wege.

Köhler: So werden sie ausgetauscht – 12 von 22 Bibelworten an den Emporen dieser Kirche. Gelöscht werden sie, zum Schweigen gebracht, ersetzt durch andere Bibelverse aus dem Neuen Testament. – Wer’s nicht weiß, erkennt es kaum. – Ganze Arbeit! – Da „stört“ nichts mehr.

Ausgedörrt, verhärtet, völlig verkantet und verquer erscheinen mir heute die Gedankengänge, die dazu führten.

Lektorin 2: Aber meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, 9sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Köhler: Gottes-Gedanken – himmelhoch höher als unsere. – Der Mensch denkt, Gott lenkt. – Was wäre das für ein Gott, wenn man Seine Worte einfach auslöschen könnte? Was wäre das für ein Gott, über dessen Wort Menschen bestimmen und entscheiden? Was wäre das für ein Gott, wenn ich Ihn mir zurechtschneiden könnte, wie es mir passt?

Aber Moment: tun wir das nicht auch, wenn wir im Gottesdienst nur ausgewählte Psalmen beten und auch aus ihnen nur die Abschnitte, die freundlich klingen? Wähle ich nicht auch aus nach meinen Gedanken, wenn ich manches aus der Bibel lieber nicht so hart und radikal hören mag, wie’s da steht? Manche Aussagen verstehen wir aus ihrer Zeit heraus und übersetzen sie in unser Denken.

Vermutlich geht das nicht anders: wir können ja nur versuchen, die Texte für uns heute zu verstehen. Wir können nur genau hinhören und sehr aufmerksam lauschen, wie Gott darin zu uns spricht. – Aber hören wir’s richtig? Auch wir können ja verkehrt liegen dabei, können uns irren.

Denn himmelweit ist der Unterschied zwischen Gottes Gedanken und unseren. – Unvorstellbar, unbegreiflich groß ist dieser Gott, ganz und gar erstaunlich: Völlig unerwartet steht auf einmal sogar denen der Himmel offen, die übel getan und vergessen haben, dass Er ein treuer Gott ist, ein Gott der Liebe und des Lebens. Völlig unerwartet ist Er ganz nah und ruft mein hartes Herz, will mich verändern:

Lektorin 2: 7Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.

6Suchet den HERRN, weil er zu finden ist; ruft ihn an, weil er nahe ist.

Köhler: Dürr, trocken, hart wie Stein – so fühle ich mich manchmal.

Dann brauche ich belebende Feuchtigkeit. Dann brauche ich frischen Lebensgeist – ganz sacht, wie feinen Regen oder manchmal auch wie eine kräftige kalte Dusche.

Hört ihr’s? Hört ihr, wie’s tröpfelt und rieselt, ganz fein und leicht? Hört ihr, wie’s die dürre Erde tränkt und wieder weich und aufnahmefähig macht, wie’s sprudelt und Herzen tröstet und heilt und brennenden Durst lindert?

Kantate BWV 18, Sätze 1 und 2

Predigt II

Köhler: Habt ihr’s gehört, wie’s leicht geregnet hat in der Musik – gleichwie Regen und Schnee vom Himmel fällt? – In den Noten, in denen Johann Sebastian Bach diese Musik aufgeschrieben hat, kann man’s tatsächlich sehen, wie’s tröpfelt.

Genauso soll es auch sein, das Wort, das aus Seinem Munde geht, das Wort Gottes: Hört ihr’s?

Ja, tatsächlich, es trifft mich sanft belebend. Es sickert in die Tiefe, geht mir zu Herzen und löscht mir den Durst. Ganz behutsam dringt es ein und lässt wieder Lebenskraft sprießen in mir, neuen Mut, Hoffnung. Zart und erfrischend spricht es mich an – überraschend manchmal, dass ich staunen muss und manchmal auch erschreckend kräftig.

Meine harte Schale macht es durchlässig, feinfühlig. – Ich spür: mein Blick wird wieder herzlicher. Ich sehe wieder klarer: kann besser unterscheiden – gut und böse, richtig und falsch. Mit einem Mal weiß ich, was dran ist, wo ich gebraucht werde:

Lektorin 2: Mein Wort wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende, spricht Gott.

Köhler: Und gleichwie ein Regen den Staub abwäscht von Blättern und Straßen, gleichwie er Wiesen und manchmal auch Wüsten wieder zum Grünen und Blühen bringt, so sollen auch die einst gelöschten Bibelworte aus der hebräischen Bibel hier in der Kirche wieder sichtbar werden. Wie ein Same sollen sie sein, ein Anstoß zum Denken und Wachsen; nahrhaft – etwas zum Kauen und Schmecken und Sattwerden, ein Spiegel vielleicht, in dem wir uns selbst erkennen.

So zeigt und führt Er uns Seine Wege. Bringt uns zum Staunen darüber, dass wir Ihm begegnen – oft so ganz anders als wir’s uns vorgestellt hatten in unseren Gedanken, wirklich ganz anders:

Lektorin 2: Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.

13Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln.

Köhler: Als es endlich anfing zu regnen im letzten Sommer: Das Rascheln der Blätter, klang das nicht wie leises Klatschen? Man konnte regelrecht hören, wie die Natur erleichtert aufatmet. Die Vögel fingen an zu singen. Und dann dieser wunderbare Duft der Erde, wenn sie feucht wird und fruchtbar, der Duft von Leben.

Genauso kann das Herz wieder lebendig werden und jubeln. Getrost und fröhlich find ich duftende Blüten am Weg, wo vorher scheinbar nur Disteln waren und Pflanzen mit heilenden Kräften anstelle von Dornen. Leichten Schrittes geh los und freu mich am Geschenk des Lebens. „Danke, Gott, dass Du mir diesen Tag schenkst.“

Lektorin 2: 12Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.

Köhler: In Hoffnung sollen wir leben, getrost und fröhlich und im Frieden. Dazu gibt Er uns sein Wort als Seelenschatz. – Hört ihr’s?